„Reich wird man nicht durch das, was man besitzt, sondern durch das, was man mit Würde zu entbehren weiß; und es könnte sein, dass die Menschheit reicher würde, indem sie ärmer wird, und gewinnt, indem sie verliert“
— Immanuel Kant —
Liebe Leute, heute wird es auf dieser Seite mal sehr ernst. An keinem von uns ist in den letzten Tagen, Wochen und Monaten die schier grenzenlose Fremdenfeindlichkeit in Deutschland vorbeigegangen. Und auch wenn es ein beruhigendes Signal ist, dass immer mehr Menschen den Mund aufmachen, sehe ich doch so viele Blogger und Leute bei Facebook und Instagram, die seitenlange Texte gegen Rechts posten – und auf deren Seite ich mich stelle, denen ich aber auch sagen möchte: Die Flüchtlinge in Heidenau lesen eure Facebook-Statements nicht. Die Flüchtlinge in Dresden und in vielen, vielen anderen Städten Deutschlands leben unter katastrophalen Umständen, und keine noch so aufrichtige und begründete mediale Empörung über den Abschaum unserer Gesellschaft sichert zum Beispiel ihre medizinische Grundversorgung. Wissen diejenigen, in deren Unterkunft gestern Nacht ein Brandsatz geworfen wurde, dass wir für sie da sein wollen?
Hintern hoch für die Menschlichkeit
Bitte versteht mich nicht falsch: Es ist immer richtig und wichtig, gegen Nazis Stellung zu beziehen. Manchmal finde ich die Situation so schlimm, dass ich mir nicht mehr sicher bin, ob ich diesem Deutschland wirklich den Rücken kehren kann (denn ich habe ja den Luxus, mir aussuchen zu können, in welchem Land ich leben möchte). Und dann tut es gut, solche Texte online zu lesen und zu merken, dass ich nicht alleine leide.
Aber auf die Frage „Was hast du dagegen gemacht?“ kann ich allein mit Wut und Trauer und Lesen noch keine Antwort geben. Denkt ihr in den letzten Tagen auch so oft an eure Großeltern (und vielleicht Eltern), und habt ihr ihnen diese Frage jemals in eurem Leben gestellt? Ich musste einen Teil meiner Familie gar nicht fragen, weil ich weiß, dass mein Großvater bei der SS war. Und dafür schäme ich mich genauso, wie ich mich schäme, wenn ich mir vorstelle, was all die Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, über dieses Land denken müssen.
Bevor ich euch ein paar Vorschläge aufschreibe, wie ihr aktiv etwas an dieser Situation ändern und helfen könnt, habe ich noch eine kleine Geschichte für euch. Sie hat dieses Mal weder mit Shopping, Pfirsichlimonade noch mit Weihnachtsgeschenken zu tun…
Sondern es geht um Willkommenskultur. Um Menschlichkeit. Als studierte Islamwissenschaftlerin war ich im Durchschnitt wohl schon häufiger als andere die Fremde in einem unbekannten Land, die die Sprache nicht spricht und irgendwie verloren ist. Ich erinnere mich an die Ferien nach meinem ersten Semester, die ich in Kairo verbracht habe. Es war Ramadan. Ich war gerade auf dem Weg zurück zu meinem Hotel. In meiner Straße wohnten ein paar Leute in einer Garage. Also in einem Raum, der so groß war wie der Platz, den wir in Deutschland unseren Autos gönnen. Die Garage war zur Straße offen, sie hatte keine Tür und kein Tor, und darin wohnten also meine Nachbarn. In dem Moment, als ich an ihnen vorbeikam, wurde gerade das Fastenbrechen ausgerufen. Sie teilten sich mit fünf oder sechs Leuten eine Schüssel Reis und winkten mir ganz aufgeregt – natürlich habe ich anfangs kein Wort verstanden, weil ich kein Arabisch konnte. Irgendwann habe ich dann völlig verdutzt gemerkt, dass diese Leute, die nach einem ganzen Tag bei über 40 Grad Hitze gerade einmal eine Schüssel Reis zu essen hatten, mich zum Abendessen einluden. Mich, die reiche Europäerin, die sich in diesem Land schlicht und ergreifend alles leisten konnte. Ich werde nie vergessen, wie wir an diesem Abend versucht haben, uns mit Händen und Füßen zu verständigen. Und wie unendlich mich diese Geste gerührt hat.
Jedes Mal, wenn ich heute lese oder sehe, wie Menschen in Not oftmals in Deutschland willkommen geheißen werden, denke ich an meine Nachbarn in Kairo, die in der Garage wohnten. Und schäme mich.
Was ihr tun könnt
Es gibt mittlerweile sehr viele sinnvolle und tolle Aktionen und Vereine, die Flüchtlingen helfen. Leider kann ich euch nicht alle hier auflisten – wenn ich etwas vergessen haben sollte, das ihr unbedingt erwähnt haben wollt, dann schreibt es mir gerne in die Kommentare! Ansonsten liste ich euch hier auf, wo ich mich engagiere und was mich derzeit an Ideen begeistert.
- ProAsyl. Unterstützt nicht nur Flüchtlinge in Deutschland (zum Beispiel bei ihren Asylverfahren), sondern leistet auch viel Öffentlichkeitsarbeit. Manchmal habe ich das Gefühl, ohne ProAsyl würde kaum noch jemand über die Tausenden Toten sprechen, die im Mittelmeer auf dem Weg nach Europa ertrinken. Ich könnt einmalig spenden oder Fördermitglied werden. Derzeit kursieren ja auch die Sweater und Shirts von Deichkind im Netz, mit deren Kauf ihr ProAsyl unterstützt. Wer für sein Geld am Ende lieber etwas in der Hand halten möchte, kann da gern zuschlagen. 😉 Und wer gerne mit anpacken statt Geld geben will, findet auf dieser Karte von ProAsyl Ansprechpartner und Möglichkeiten.
- Generell gibt es in den meisten deutschen Städten einen Flüchtlingsrat. Meldet euch dort, um zu erfahren, was ihr tun könnt und was in eurer Gegend gerade am meisten gebraucht wird.
- Ein anderes Thema, über das ich im Text oben gar nicht geschrieben habe, ist die Lage am Mittelmeer, sind die vielen Flüchtlingsboote, die untergehen (oder untergehen, nachdem sie von unseren „Grenzbeschützern“ zurück aufs Meer geschoben wurden). Die Crew von SeaWatch versucht, dort Hilfe zu leisten, wo es eigentlich Europa tun sollte, statt Unsummen für die Abschottung des Kontinents auszugeben und Abertausende Tote in Kauf zu nehmen. Auch SeaWatch ist auf Spenden angewiesen, und von der Erlebnissen der Beteiligten bei Facebook zu lesen hat mir erstmal bewusst gemacht, wie riesig die Zahl der Toten ist/sein muss und wie wenig darüber eigentlich bei uns in den Medien berichtet wird.
- Perspektive spenden bei workeer. Auch wenn die beiden Studenten, die workeer.de ins Leben gerufen haben, dem Run auf die Seite nicht ganz standhalten können – ich finde, die Vermittlung von Geflüchteten an Arbeitgeber und umgekehrt ist eine grandiose Idee. Denn nicht nur das vergiftete Klima gegenüber Flüchtlingen und Ausländern in Deutschland ist menschenunwürdig, sondern auch, die Menschen, die hier ankommen, ewig lange tatenlos warten zu lassen und zum Nichtstun zu zwingen. Wenn ihr jemanden kennt oder selber jemand seid, der sich registrieren möchte – auf geht’s!
- Wohnen mit Flüchtlingen. Ich bin wirklich begeistert von Flüchtlinge willkommen, weil die Initiative zwei Probleme gleichzeitig angeht: Die Unterbringung von Flüchtlingen (in diesem Fall in Privathaushalten) und ihre Integration. Nichts auf der Welt ist sinnvoller, als Flüchtlinge in bereits bestehenden Haushalten unterzubringen, wo sie Ansprechpartner und Gesellschaft haben und vielleicht sogar Deutsch lernen können. Und wie viel menschlicher ist das, als sie in Lager jenseits der Stadtgrenze zu stecken…Bei „Flüchtlinge willkommen“ gibt es sehr viele ehrenamtliche Unterstützer, ich scheine nicht die Einzige zu sein, die die Idee klasse findet. Was fehlt, ist Geld. Also spendet oder registriert euch, um Menschen bei euch aufzunehmen, oder helft bei der Vermittlung von Flüchtlingen in WGs und andere Haushalte!
- Spenden sammeln mit Blogger für Flüchtlinge. Dies hier ist im Vergleich zu manch anderem Blog ja nur eine winzig kleine Seite. Aber es gibt Blogger, die haben eine rieesige Reichweite. Und warum die nicht nutzen? Vielleicht habt ihr ja in der Vergangenheit die Geschichte von Dariadaria aus Österreich mitbekommen. Wirklich bewundernswert!
Womit ich am Ende meines Vortrags und eigentlich bei meinem wichtigsten Anliegen angelangt bin: Wenn ihr aus Münster kommt und Lust habt, gemeinsam mit mir etwas auf die Beine zu stellen, dann meldet euch bei mir! Je mehr wir sind, desto besser. Nutzt euer Netzwerk und eure Fähigkeiten, um zu helfen. Sei es beim Spendensammeln, beim Sammeln von Sachspenden oder bei dem Versuch, Flüchtlingen aus der Umgebung einen schönen Tag zu bereiten. Ich freue mich über euer Feedback und eure Ideen! <3
Echt toll und sehr schön von dir, liebste Marina! <3
<3 <3 <3 <3
Marina das ist ein toller Post!!! Darüber wollte ich auch schon lange was schreiben und hab irgendwie nicht den richtigen Dreh gefunden. Diese bloggerfuerfluechtlinge Aktion hab ich heute das erste Mal gesehen, das werd ich mir jetzt mal anschauen. Ich hoffe das existiert noch…
Ich kann immer noch nicht wissen, wie ich hier auf den Blog gefunden habe, aber jetzt wird er auch von oben nach unten durchgelesen 😀
Alles alles Liebe an euch beide!
Mila
Milaaaa, danke!! Das Internet ist ein Dorf, oder? 🙂 Total verrückt!
Würde mich riesig interessieren, was du so über die aktuelle Situation in Deutschland zu schreiben hast. Bei dem ganzen Durcheinander der letzten zwei Jahre hab ich es nicht geschafft, da wirklich auf dem Stand zu bleiben. Und dein Reisebericht aus dem Harry Potter-Land fehlt auch noch 😉
Ich drück dich. <3
*fassen